5 Kommentare
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Avatar von Mario Budmiger

Danke Kathrin für die rasche Antwort!

Ich darf nachschenken?

Pervertiert auf die Spitze getrieben wird der Anti-Held einfach nur zum Versager, dessen Geschichte niemand hören will. Dass sich die Heldenreise überlebt hat, könnte damit zusammenhängen: Die eigene Wunde wird als Abbild der allgemein-universelleren Welt-Wunde gesehen. Darum müssen ja Anti-Helden zuerst die Welt retten, damit sie sich selbst retten können.

Meine Vermutung: nach dem Anti-Helden und nach dem (unerzählten) Versager könnte sich die Wechselwirkung wieder umdrehen. Weil der Held sich zuerst und vor allem seiner eigenen Wunde stellt, "passiert" die Welt-Rettung quasi nebenbei.

Krimi als Entwicklungsroman?

Danke für die Anregung!

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Avatar von Kathrin Lange

Diesmal war ich nicht ganz so schnell mit der Antwort, weil ich erstmal über das "Krimi als Entwicklungsroman" nachdenken musste. Interessanter Ansatz!

Was meine Kritik an der Heldenreise angeht, folge ich eher einem grundfeministischen Ansatz, der das kapitalistische Patriarchat aufs Korn nimmt. Aber ich würde hier ungern politisch argumentieren, sondern lieber beim Literarischen bleiben. Du schreibst: "Die eigene Wunde wird als Abbild der allgemein-universelleren Welt-Wunde gesehen". Darin steckt dann eigentlich die Problematik der Über-Idividualisierung, oder? Und schwupps, lande ich wieder bei den großen soziologisch-psychologischen Themen … Ach, so viel zu grübeln. Herrlich! … :)

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Avatar von Mario Budmiger

Ich komme mit einiger Verzögerung noch einmal auf unser spannendes Gespräch zurück. Deine Bemerkung zu Posts (oder Kommentaren) von unterwegs ist genau der Grund, warum ich erst jetzt antworte. Trotzdem ist der Kommentar etwas länger geworden.

Wahrscheinlich wäre eine Klärung des Begriffs "Heldenreise" fällig - und dann die Verbindung zum Krimi. Tatsächlich wünschte ich mir ein Comeback der echten (alten) Helden- und Heldinnenreise! Warum?

Die Moderne und unsere spätkapitalistische Individualgesellschaft basiert auf der Vorstellung, dass Menschen einmal im Leben einen Prozess der Krise und des Wandels erleben: Als Teenager in der Pubertät. Wechsel vom Kind zum Erwachsenen. Und dann? Ist das Individuum gefälligst "fertig". Alles, was jetzt noch stört und zweifelt und kriselt ist per Definition pathologisch.

Ganz anders die alten Heldensagen, in denen der Held auf eine Suche, auf eine Reise aufbricht. Weil er muss: Innerer Drang und Notwendigkeit. Aufbrechen! Jetzt! Und erst mit dem Prozess der Reise entdeckt er die wunde Welt im Abbild seiner eigenen Wunde. Erst in der Katharsis der "Heldenprüfungen" wächst er über sich selbst hinaus. Und es kann (und wird!) ihn immer wieder treffen.

Dass in der Moderne Krisen nicht mehr erwünscht sind: Daran scheitert irgendwann der Held des bürgerlichen Kriminalromans. Geschichte als ewiger Fortschritt? Nicht für den abgewrackten Anti-Helden. Heutige Helden sind aber - im Vergleich zu den uralten Heldensagen - immer nach vorne unterwegs. Entwicklungs-Krise? Gibt's nicht. Heisst jetzt Burnout.

Der Krimi fast schon mit impliziter Kulturkritik? Vielleicht.

Und da stimme ich dir zu: Diese moderne Teflon-Macho-Heldenreise (als krisenlose und fortschrittsgläubige Selbstdarstellung verstanden) hat ausgedient. Allerdings leiden unter ihr nicht nur die Frauen.

Ein Revival echter Heldinnen und Helden wäre fällig.

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Avatar von Mario Budmiger

Danke für den tollen Beitrag!

Spannend die Frage nach der Sichtbarkeit der Wunde der Figur - und eine Hypothese dazu: Die Figur des Anti-Helden "rettet" den Krimi in die Postmoderne.

Die Funktion des Krimis: Selbstvergewisserung. Das moderne Bürgertum findet Bestätigung seines Weltbildes. Eindrücklich in Peter Handkes 'Hausierer' offengelegt: Die Ordnung, wie sie gestört und wiederhergestellt wird.

Warum nun plötzlich ein Anti-Held als Retter dieser Ordnung? Vielleicht, weil er die Erwartungen, die das Publikum an sich selbst hat (haben soll!), unterläuft: Der maximale Kontrast zum selbstoptimierten Alleskönner. Das tröstet. Und zugleich ermahnt die Figur: Die Rettung der eigenen kleinen Welt (Want) ist nur über den Umweg möglich, nämlich über die Rettung der grossen Welt (Need). Ist nicht genau das die Eigenschaft eines Helden? Er tut es, obwohl er es eigentlich nicht kann.

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Avatar von Kathrin Lange

Danke für den tollen Kommentar!

Wenn ich das richtig auf dem Schirm habe, dann sind Antihelden à la Wallander oder Bosch eine Erfindung der hedonistischen 90er, was zu deiner These passen würde.

Wenn ich mir die ganzen selbstoptimierten Alleskönner ansehe, die sich heute auf LinkedIn und Co. tummeln, dann frage ich mich gerade, wie sie sich auf den Anti-Helden auswirken. Plus: Ich vertrete ja durchaus die These, dass die Heldenreise sich in unseren Zeiten überlebt hat. Es wäre spannend, darüber nachzudenken, ob und wie die Heldinnenreise als "neue" Erzählstruktur sich in den Krimi einfügt.

Danke für die Denkimpulse!

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