In der letzten Ausgabe dieses Newsletters ging es darum, das Chaos zu lichten, als das sich der Roman im Arbeitsprozess manchmal darstellt.
Heute kommen diejenigen von euch auf ihre Kosten, die mit ihrem Projekt noch ganz am Anfang stehen und vielleicht nicht wissen, wie sie von ihrer Idee zu einem ersten Plotentwurf kommen. Heute geht es darum, den Roman “in Gang” zu bringen.
Von der Idee zur Story
Weil es so schön anschaulich ist, erkläre ich euch die Methode wieder an einem meiner eigenen Bücher, diesmal geht es um “Cherubim”, das ich bereits ein paarmal erwähnt habe. Es ist ein historischer Thriller, der im Aufbau-Verlag erschienen, im Moment aber leider nicht lieferbar ist.
Erinnert ihr euch? So sah der Plot aus.
Nachdem 2008 bei Aufbau mein erster historischer Thriller “Seraphim” erschienen und erfolgreich gelaufen war, fragte der Verlag mich, ob ich eine Fortsetzung davon schreiben könnte. Es war das erste Mal, dass mir das passierte, und dementsprechend erfreut war ich und habe natürlich sofort zugesagt. Um kurz darauf festzustellen, dass ich gar keine Ahnung hatte, was ich schreiben sollte. :)
Was tun? Klar. Die Plotkarten rausholen.
Ich hatte nur sehr wenige Ausgangspunkte für die Story, im Grunde war das Ganze nichtmal eine Idee, sondern einfach nur das Wissen, dass die beiden Protagonistinnen* aus Band 1, Katharina und Richard wieder auftauchen mussten. Und dass das Ganze ein Thriller wie Band 1 werden sollte. Ich schrieb also tatsächlich zwei Karten mit diesen Infos.
Dann überlegte ich und kam relativ schnell auf die Idee, eine weitere Figur wieder auftauchen zu lassen, nämlich einen Mönch namens Johannes, den die Leserinnen* von Band 1 sehr mochten. Dieser Johannes hatte im Roman die Funktion eines Funny Sidekicks1. Immer, wenn er aufgeregt war, trat er unruhig von einem Bein aufs andere, weil sich seine Blase meldete. Dieses Element hatte ich ursprünglich nur als Figurenbauelement erfunden, das Johannes plastisch machen sollte. Jetzt allerdings half es mir einen guten Schritt voran.
Johannes würde also auch wieder auftauchen. Parallel besprach ich mit meinem Lektor, dass der Titel des neuen Buches analog zu dem Titel von Band 1 lauten sollte. Nach “Seraphim” kam jetzt also “Cherubim”.
Die kleine Macke von Bruder Johannes war es dann, die zusammen mit dem Titel und einer relativ simplen Google-Recherche die Story in Gang setzte. Ich wusste von meinen früheren Recherchen, dass die Cherubim laut Bibel Engel mit einer Vielzahl von Augen sind. Aus reiner Neugier also gab ich die Worte “Urin” (Bruder Johannes sei Dank!) und “Augen” in eine Suchmaschine ein.
Und stieß tatsächlich auf eine Krankheit, in deren Beschreibung beide Wörter vorkamen. Die Alkaptonurie ist eine Stoffwechselkrankheit, bei der sich sowohl die menschlichen Ausscheidungen als auch das Weiße der Augen schwarz färben. Schon Galen hatte über dies Krankheit geschrieben, was mir die Sicherheit gab, dass man auch im 15. Jahrhundert schon davon gewusst haben muss. Und mehr noch: Für die Ärzte der damaligen Zeit war die Krankheit extrem rätselhaft, da sie nicht tödlich verlief, ganz anders, als es der gängigen Lehrmeinung entsprach: Färbte sich bei einem Patienten jener Zeit nämlich der Urin schwarz, bedeutete das, dass sich Blut darin befand. Ein in jenen Tagen sicheres Todesurteil. Nur eben bei Menschen, die unter Alkaptonurie litten, nicht.
Wenn meine Tipps euch und euer Romanprojekt weiterbringen, würde ich mich über eure Unterstützung freuen.
1. Empfehlt “Plotten für Chaoten” Leuten weiter, die selbst schreiben, oder teilt diesen Newsletter auf den Sozialen Medien.
2. Beteiligt euch über Paypal. Mit jedem Betrag helft ihr mir dabei, diesen Newsletter auch in Zukunft erscheinen zu lassen.
3. Ihr könnt auch hier auf Substack ein bezahltes Abo abschließen (Kostenpunkt: 8 Euro/Monat, 80 Euro/Jahr. Beim Klicken auf den folgenden Link habt ihr die Wahl: kostenfreier Newsletter oder bezahltes Abo.)
Zahlende Abonnent*innen (egal ob Substack oder Paypal) erhalten einmal im Monat einen Link für ein Zoom-Treffen mit mir, auf dem ihr mir Fragen stellen oder euch Rat zu dem eigenen Plot holen könnt. (Der nächste Termin: 6. Juni 19 Uhr.) Und ebenfalls für zahlende Abonenntinnen* gibt es Vorabinformationen über die Termine der nächsten Plot-Seminare, sodass ihr euch die besten Plätze sichern könnt.
Vielen Dank an alle, die mitmachen!
Eure Kathrin Lange
Mit dieser Krankheit hatte ich jetzt also auch das für einen Thriller natürlich wichtige Thema “Tod” mit im Spiel. Weitere Internetrecherchen brachten mich auf das Bibelzitat
Wenn aber dein rechtes Auge dir Anstoß gibt, so reiß es aus und wirf es von dir …
Und da es auch in Band 1 um einen religiös motivierten Wahn ging, war dann recht schnell die erste Szenenidee da: In einer der dunklen Gassen Nürnbergs findet man die Leiche eines Mannes mit ausgestochenen Augen. Später im Roman stellt sich raus, dass dieser Mann schwarze Augen hatte. Ein Zeichen des Teufels? Das Motiv für den Mord, der nicht der einzige bleiben sollte. Katharina und Richard, die beide medizinische Studien betreiben, hatten einen neuen “Fall”. Von hier aus arbeitete ich weitere Szenen aus, plante und schrieb, wobei ich mich der Schritte “nach vorne plotten” und “nach hinten plotten” bediente.
Grundsätzliche Tipps
Das war nun ein sehr konkretes Beispiel. Ich versuche es noch einmal etwas weniger speziell. Im Laufe der Jahre ist mir immer deutlicher klar geworden, dass es einen Trick gibt, wie eine Story schnell “in Gang” kommt, wenn ich zu Anfang nur ein Thema habe.
Ich muss auf die Figuren- oder die Szenenebene kommen.
Da es sich in diesem Beispiel um einen Fortsetzung handelte, waren die Figuren schon komplett ausgearbeitet. Die neue Story musste um sie herum angepasst werden. Es brauchte einen medizinischen Fall, ein gutes Mordmotiv, die ich mir neu ausdenken musste. Die Beziehungen der einzelnen Figuren hingegen und das Setting stand fest. In dem Beispiel aus dem Newsletter von letzter Woche waren auch zwei Figuren da, diesmal aber komplett ohne Ausarbeitung. Alles, was ich dort hatte, war das Setting (Gericht) und die Tatsache, dass die eine Figur die andere verraten sollte. Erst, als ich mir klar wurde, wo das Ganze spielen sollte (in Südfrankreich während des Albigenserkreuzzugs) und um welches Thema es gehen sollte (ein geheimes, anachronistisches Buch und ein rätselhafte astronomisches Instrument), entstanden andere Figuren rund um meine beiden Protagonistinnen*, die diesen dann wiederum Kontur gaben – und die Konflikte und dadurch die Story in Gang setzten.
Figuren-, Handlungs- und Weltenbau gehen auf diese Weise immer Hand in Hand, wobei es bei jedem neuen Roman anders ist, was davon die Führung übernimmt. Aber egal, welchen Gang die Story in ihrer Entwicklung nimmt, das zentrale Element meiner Arbeit sind und waren immer die Plotkarten, die jeden noch so krausen Gedanken festhalten. Und dabei schreibe ich in der Brainstormingphase tatsächlich jedes Detail auf, egal, wie kurios oder auf den ersten Blick dumm es erscheinen mag. Bruder Johannes’ Inkontinenzproblem ist ein gutes Beispiel dafür, wie am Ende ein bisschen Pipi einen ganzen Thriller in Gang setzen kann.
Das nächste Mal …
Ihr habt jetzt die Methode sowohl als Mittel gegen das Chaos als auch als Kreativmotor kennengelernt. Vielleicht habt ihr sie ja inzwischen auch selbst schon ausprobiert und fragt euch, wie ihr entscheiden sollt, wo im Roman die Herzblutszene steht. Genau darum geht es in der nächsten Ausgabe – außerdem darum welche Plotmodelle es gibt und wie gut sie sich für die Methode “Plotten für Chaoten” eignen.
Stimmen
Kristin Weber, eine der Autorinnen der Anthologie “Das rote Tuch”, die ich euch im letzten Newsletter vorgestellt habe, schrieb mir:
Ich freue mich sehr, dass wir nach alle den Jahren immer noch in Kontakt sind. Bei dir habe ich die Grundlagen fürs professionelle Schreiben gelernt, das Wertvollste überhaupt. Und es hat sehr viel Spaß gemacht! Und die Kurse in Wolfenbüttel sind auch immer toll!"
Schreibt mir!
Fragen? Wünsche oder Anregungen? Dann schreibt mir unter plotten@kathrin-lange.de
Ich freue mich über jede Nachricht.
Disclaimer und Transparenzhinweis
Dieser Newsletter enthält Affiliate-Links. Beim Klick darauf, wirst du auf die Seite der Independent-Buchhandlung Graff weitergeleitet. Wenn du über diesen Link bei Graff bestellst, bekomme ich von der Buchhandlung eine anteilige Vergütung.
Ab und zu verwende ich Fachausdrücke aus Literaturwissenschaft und dem Handwerk des Kreativen Schreibens. Gern wüsste ich einmal, ob ihr eine Art Glossar dafür gebrauchen könntet. Schreibt mir unter plotten@kathrin-lange.de. Dorthin könnt ihr natürlich auch weitere Wünsche, Anregungen und/oder Kritik senden. Ich freue mich auf jede Mail von euch.