Liebe Autor:innen,
Wie schaffst du das nur, aus so komplexen Themen so spannende Bücher zu machen?
Das werde ich verblüffend häufig gefragt. Vom 15. bis 17. Juni 2025 könnt ihr genau das in der Bundesakademie für Kulturelle Bildung e.V. von mir und meiner Autorenkollegin Susanne Thiele lernen.
Von Fakten zur Fiktion
Wie der Weg von der Recherche zum Roman glückt
Wie verwandeln Autorinnen und Autoren spröde Fakten in einen packenden Roman? Wie kommen wir an unsere Informationen? Wie wichtig ist eine Recherche vor Ort? Wo finden wir Expertinnen und Experten, die ihr Wissen mit uns teilen? Und was passiert, wenn plötzlich Details auftauchen, die unseren gesamten Plot über den Haufen werfen?
Zu mehr Informationen und zur Anmeldung geht es HIER entlang.
Das Foto wurde auf dem letzten Seminar gemacht, das Susanne und ich in der Bundesakademie gegeben haben.
Und jetzt geht es los.
Dialoge = eine erlernbare Fremdsprache
Schon in der ersten Folge meiner Serie über das Dialoge schreiben habe ich den amerikanischen Schreibcoach Sol Stein zitiert. Von ihm stammt auch die Aussage, dass der Dialog sich einer eigenen Sprache und Grammatik bedient, und dass man dieses Sprache, wie jede andere, lernen kann.
Steigen wir darum heute etwas tiefer ins Thema ein. Die erste Frage, die wir uns dafür stellen, ist:
Was können Dialoge?
Die Figur und ihre Stimmung zeigen
Zunächst einmal sind Dialoge eine perfekte Methode, um dem Leser oder der Leserin einen Eindruck von der Figur zu verschaffen – und auch von deren Verhältnis zu ihrer Umwelt. Schauen wir uns das folgende Beispiel an, es ist eine von mir gekürzte Version der ersten Seite aus Rachel Joyces Megabestseller “Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry”. Ich habe alles, was nicht Dialog ist, rausgenommen.
„[Der Brief] ist von Queenie Hennessy.“ [...]
„Queenie wer?“
„Sie hat in der Brauerei gearbeitet. Vor Jahren. Erinnerst du dich nicht?“ [...]
„Ich wüsste nicht wieso. Ich wüsste nicht, warum ich mich an jemanden erinnern sollte, den du vor Jahren mal gekannt hast. Reichst du mir die Erdbeermarmelade, bitte?“
„Sie war in der Buchhaltung. Sehr tüchtig.“
„Das ist die Orangenmarmelade, Harold. Erdbeermarmelade ist rot. Es hilft übrigens, wenn du die Dinge ansiehst, bevor du sie in die Hand nimmst.“
Was erfahren wir über die beiden redenden Figuren? Sie scheinen am Frühstückstisch zu sitzen und zumindest eine von ihnen ist ein Mann (Harold). Sie scheinen nicht mehr ganz jung zu sein, was wir aus dem “vor Jahren”, das Harold sagt, schließen können. Und es gibt eine spürbare Hierarchie zwischen ihm und (vermuten wir mal) seiner Frau: Sie behandelt ihn herablassend, fast kalt (“Ich wüsste nicht, warum ich mich an jemanden erinnern sollte, den du vor Jahren mal gekannt hast” und “Es hilft übrigens, wenn du …”)
Harold selbst scheint ein eher stiller Typ zu sein, jedenfalls regt er sich nicht über den Tonfall seiner Frau auf, hält nicht dagegen. Vielleicht hat er ja seine Gründe dafür …
In dieser ersten kurzen Szene steckt der gesamte Figurenbau von Harold Fry – inklusive einer Andeutung seiner kommenden Heldenreise sowie seines zentralen Traumas, das dann später im Buch für einen sehr emotionalen Plottwist sorgt.
Leseimpuls
Schaut euch einmal Szenen aus euren Lieblingsbüchern daraufhin an, wie die Figuren dialogisch eingeführt werden. Analysiert: Was erfahre ich durch das, was sie sagt, über die Figur? Wie berührt mich das?
Das war der erste Punkt dessen, was Dialoge können. Wenden wir uns dem zweiten zu.
Milieus und Figurenbaudimensionen zeigen
Erinnern wir uns an Teil 2 der Serie über den Figurenbau. Dort erkläre ich ausführlich die drei Dimensionen einer Romanfigur. Hier nur noch einmal kurz angerissen, sie sind:
Physiognomie
Soziologische Dimension
Psychologische Dimension
Das Harold Fry-Beispiel oben zeigt uns etwas über Harolds psychologische Dimension (eher stiller Typ) und auch über einen Teil seiner soziologischen Dimension (offenbar ist er verheiratet).
Dialoge können aber auch Status, Bildung, Milieu einer Figur verdeutlichen. Ich mache es, wie oft, an einem bewusst übertriebenen erfundenen Beispiel deutlich:
„Ich würde vorschlagen, wir gehen gemeinsam nach Hause und schauen einmal, was dieser Abend noch für uns bereithält.“
„Dat ham‘se sich aber so jedacht, wa?“
Figur 1 redet in einer übertrieben gebildeten, leicht herablassenden Art, während Figur 2 nicht nur Dialekt spricht, sondern auch Buchstaben und Silben verschleift. Ich habe bei dem Beispiel irgendwie immer “My Fair Lady” im Kopf. (“I could have danced all night …” Bitteschön für den Ohrwurm. :)
Eine kleine Anmerkung zum Thema Dialekt oder auch Fremdsprachen: Ich werde oft gefragt, was das richtige Maß ist, wenn eine Figur Dialekt spricht – oder gar eine Fremdsprache. Das ist allgemein gar nicht so leicht zu beantworten. Schreiben wir jeden Satz, den die Figur sagt, in Dialekt, dann kann das ziemlich anstrengend für die Leser:innen werden. Ganz zu schweigen davon, dass es auch sehr schnell unverständlich wird.
“Tööv mol!” Das sagt Tamme in einem meiner Wattenmeerromane auf Nordfriesisch. Vermutlich niemand, der südlich von Hamburg wohnt, weiß, dass das “Wart’ mal!” heißt. Wie aber das nun übersetzen, ohne den Leser aus dem Lesefluss zu reißen oder Overtelling zu betreiben? Ich habe das im Buch über die Erzählperspektive gelöst. In der entsprechenden Szene befinden wir uns in Tammes Kopf.
“Tööv mol!”, rief er, und weil Jan ja noch immer nicht so gut Platt konnte, wiederholte er auf Hochdeutsch: “Wart’ mal!”
Das geht natürlich nicht immer, dann gilt es, andere kluge Lösungen zu finden.
Noch komplexer wird es bei einer fremdsprachlichen Figur. Ich vermute, dass die wenigsten von euch es halten wie Umberto Ecco, der der Ansicht war, dass nur Menschen mit einer gewissen Bildung seine Bücher lesen sollten und der seine Figuren darum mit Absicht seitenlang Lateinisch oder Französisch sprechen lässt. Immerhin: Gnädigerweise liefert er hinten im Buch dann doch noch die Übersetzung. Da wir nicht Ecco sind, gilt für uns aber dennoch: Durch wessen Augen und Ohren nimmt der Lesende die Szene wahr? Kann die perspektivtragende Figur kein Französisch, dann ist es wenig sinnvoll und schlichtweg falsch, den gesprochenen Satz ausführlich hinzuschreiben. Etwas in dieser Art wäre dann eine bessere Lösung:
Sie antwortete etwas auf Französisch, das er sich nur teilweise erschließen konnte. Immerhin: Es schien um Professor Jules zu gehen, das jedenfalls glaubte er verstanden zu haben.
Ist hingegen die Französin perspektivtragende Figur, dann löse ich es gern so:
Bevor sie darüber nachgedacht hatte, dass er sie ja gar nicht verstehen konnte, hatte sie ihm schon lang und breit ihre Gedanken über Professor Jules dargelegt.
Oder:
Sie antwortete ihm auf Französisch. “Professor Jules ist gestern nicht nach Hause gekommen. Hat mir seine Frau erzählt, und auch seine Doktorandin weiß nicht, wo er abgeblieben ist.” (Obwohl die Figur Französisch spricht, steht der Satz für die Lesenden auf Deutsch da. Das funktioniert in dieser Perspektive, weil die Figur ja weiß, was sie sagt, aber es macht auch deutlich, dass so etwas eine “Lost in Translation”-Notlösung ist.)
Damit erstmal genug zum Thema Dialekt und Fremdsprachen. Kehren wir zu den Aufgaben zurück, die Dialoge im Roman haben.
Die dritte Aufgabe ist es, den Leser/die Leserin schnell und sicher in die Geschichte zu ziehen.
Dialoge als Hook
Auch diese Funktion von Dialogen steckt im Grunde schon in dem Harold Fry-Beispiel. Indem er und seine Frau miteinander reden erfahren wir viel über ihre Beziehung, aber es gibt auch einen leisen Anklang: Hierin steckt mehr, als du zunächst vermutest, liebe Leserin! Wir spüren den Konflikt, das Trauma und werden neugierig, ohne dass die Autorin raunen muss oder eben Overtelling betreibt (“Was er damals noch nicht wusste …”)
Ich finde es immer fazinierend, wenn ein Roman es schafft, mich auf subtile Weise in die Story zu ziehen.
Gute Beispiele für einen Dialog als Hook liefert eigentlich jeder Noir-Krimi, der damit beginnt, dass der Ermittler in seinem Büro sitzt (wichtig, samt Fliege am Fenster! :) und ein Klient hereinkommt, um ihn zu engagieren. Da mein Lieblingsautor in diesem Genre Robert B. Parker ist, nehme ich ein Beispiel aus einem seiner Bücher, das leider nicht mehr lieferbar ist (“Der gute Terrorist”). Auch hier wieder habe ich das Meiste, was nicht Dialog ist, weggelassen:
[...] er bedachte mich mit einem scharfen Blick. „Spenser?“
„Und mächtig stolz drauf“, sagte ich.
[...] „Machen Sie hier einen auf schlau?“
„Schon vorbei. Was kann ich für Sie tun?“
„Gefällt mir nicht, wie das hier läuft.“
„Tja. Aller Anfang ist schwer.“ [...]
„Jetzt hören Sie mal zu. Wenn Sie meinen Auftrag nicht wollen, dann sagen Sie es einfach.“
„Ich will Ihren Auftrag nicht.“
Genau wie bei den vorherigen Beispielen transportiert der Dialog Figurenbaudetails (Spenser ist ein dickköpfiger Ermittler, der sich für lustiger hält, als er ist) und Hierarchien (er redet mit einem potenziellen, offenbar selbstbewussten Klienten). Darüber hinaus jedoch macht der Dialog etwas, das sich “Forschaddowing” nennt, also Vorausdeutung. In ihm steckt nämlich bereits das zentrale Spannungselement des gesamten Romans: Spenser findet raus, dass sein Kunde ihn zu benutzen versucht und in Wahrheit derjenige ist, der Dreck am Stecken hat. Und er muss zusehen, wie er aus der Nummer lebend wieder rauskommt … Genau diese Gefahr ist in der Szene im Kleinen schon angelegt. Da ist die Tatsache, dass Spenser in widerborstiger Opposition zu seinem Klienten steht, statt auf dessen Seite, und da ist auch Spensers vages Gefühl, dass etwas nicht stimmt …
Dialoge üben
In meinen Seminaren werde ich immer wieder gefragt, wie man das Schreiben von Dialogen am besten üben kann. Im Netz finde ich dazu Tipps wie diesen: Setz dich an einen öffentlichen Ort und schreib einfach mit, was du hörst.
Das funktioniert so gut wie nie, wie ich schon in der ersten Folge der Serie über Dialoge dargelegt habe. Ihr wisst noch, die Logik und die Grammatik und so …
Was ich selbst darum gern empfehle, sind folgende Tipps:
Lest möglichst viele verschiedene Dialoge und analysiert, wie sie funktionieren.
Nehmt euch eine Szene aus einer eurer TV- oder Streamingserien und schreibt Wort für Wort auf, was die Figuren sagen. Das ist eine gute Übung, um sich die Probleme klar zu machen, vor die Dialoge uns stellen: Menschen sagen nicht, was sie denken, sie fallen sich ins Wort, reden gleichzeitig uvm. Für all diese Dinge gilt es, im literarischen Text Mittel und Wege zu finden, sie darzustellen.
Wie das geht, darum kümmern wir uns in den kommenden Folgen dieses Newsletters.
Ich freue mich drauf.
Bleibt kreativ und zuversichtlich!
Herzlich
Eure Kathrin
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