Liebe Autor:innen,
unser Seminar „Von Fakten zur Fiktion“ in der Bundesakademie für Kulturelle Bildung e.V. ist mittlerweile Geschichte, und ich selbst zehre noch immer von den Impulsen, die ich dabei erhalten habe. Recherche im Netz (mit und ohne KI) und in wissenschaftlichen Bibliotheken, spannende Themen von mittelalterlichen Herbarien über Lessings „Nathan der Weise“ bis hin zum Atommüllendlager Asse – wir hatten drei packevolle und hochinformative und inspirierende Tage.
Ich zusammen mit meiner Co-Autorin und Seminarleiterin Susanne Thiele und Olaf Kutzmutz (von links). Eine Teilnehmerin sagte bei der Feedbackrunde den schönen Satz: „Als Team seid ihr der perfekte Sommercocktail“.
Die nächsten Seminare an der Bundesakademie (und natürlich auch alle restlichen Termine 2025 von „Plotten für Chaoten“) könnt ihr in meiner Newsletter-Ausgabe vom 20. Mai einsehen.
In Teil 2 meines Newsletters über das Dialoge schreiben, „Den Figuren auf den Mund geschaut“, haben wir uns angesehen, was für Funktionen Dialoge im Roman haben. Heute nun beginnen wir mit einem Deep Dive in den Basiskram, bei dem es um Inquitformeln, Absätze, korrekte Anführungszeichen und vieles mehr geht.
Los geht’s.
Image by Gerd Altmann from Pixabay
Basiskram Dialoge – Inquitformeln
Als Inquitformel bezeichnen wir Satzteile wie “sagte er/sagte sie”, die im Dialog die wörtliche Rede begleiten. Inquits dienen dazu, deutlich zu machen, wer redet, und sie strukturieren den Text auch.
Bei dem Thema taucht als Erstes dann die Frage auf: Wie oft sollte man sie verwenden? Gibt es da eine „Regel“? Langjährige Leser:innen meines Newsletters wissen, dass ich es ablehne, irgendwelchen strikten Schreibregeln zu folgen. Das Geschriebene muss für die Person funktionieren, die es liest, und es muss eine Funktion für den Text haben. Wenn Sven Regener in „Herr Lehmann“ auf der ersten Seite gefühlt zwanzig Mal „dachte er“ schreibt, dann ist das kein schlechter Stil, sondern er verfolgt damit auf Figuren- und Storybauebene ein Ziel. Welches? Lest mal den Anfang und fragt euch selbst, was es mit euch macht. Eine Diskussion darüber dann gern in den Kommentaren – oder auf dem nächsten Communitytreffen (am 15.7.2025).
Mich persönlich führt die Frage „Wie oft darf ich sagte er/sie schreiben?“ direkt in meine Schulzeit zurück – zu einer Meinungsverschiedenheit, die ich mit einer Deutschlehrerin hatte. Es muss in der Grundschule oder allerhöchstens in der 5. Klasse gewesen sein. Besagte Lehrerin gab mir einen Aufsatz zurück, eine kleine Geschichte, an deren Inhalt ich mich nicht mehr erinnern kann. Was ich aber noch sehr gut weiß: Sie monierte darin, dass ich mehrfach „sagte er“ und „sagte sie“ verwendet hatte. Sie plädierte vehement dafür, Synonyme für „sagen“ zu suchen – und zwar möglichst viele verschiedene. Das würde den Text lebendiger machen.
Ich weiß noch, dass mir der Rat falsch vorkam, aber erst, als ich anfing, professionell zu schreiben, begriff ich, warum dieser Rat nicht nur falsch, sondern für gute Geschichten geradezu fatal ist.
Sehen wir uns ein Beispiel an. Es stammt aus einer Präsentation, die ich in meinen Dialogseminaren halte. Wie immer habe ich es für das Verdeutlichen konstruiert.
„Du hast lange nicht angerufen“, sagte er.
„Ich war im Ausland“, erwiderte sie. „Ich musste meine Kohle zusammenhalten.“
„Hm“, machte er. „Unsere Beziehung scheint dir ja nicht besonders wichtig zu sein.“
„Wie kommst du darauf?“, empörte sie sich.
„Du hast nicht angerufen“, wiederholte er.
Meine damalige Deutschlehrerin wäre entzückt. Wir haben hier tatsächlich gleich mehrere ganz tolle Synonyme für „sagen“ – sich empören, wiederholen, erwidern – aber trotzdem erscheint der Text holperig, ja sogar regelrecht nervig. Warum ist das so?
Zum einen liegt es daran, dass wir nach den ersten beiden Dialogzeilen wissen, wer spricht. Wir brauchen es von der Autorin also nicht mit jedem Satz wieder unter die Nase gerieben zu bekommen, ganz nach dem Motto: „Übrigens, lieber Leser, damit du nicht durcheinander kommst, hier spricht die Frau. Ach ja, falls du es nicht kapiert hast: Sie empört sich auch noch.“
Besser wäre es in diesem Fall, die Inquitformeln ab einem gewissen Punkt einfach wegzulassen.
„Du hast lange nicht angerufen“, sagte er.
„Ich war im Ausland“, erwiderte sie. „Ich musste meine Kohle zusammenhalten.“
„Hm. Unsere Beziehung scheint dir ja nicht besonders wichtig zu sein.“
„Wie kommst du darauf?“
„Du hast nicht angerufen.“
Da hier nur zwei Personen reden, wissen wir jederzeit, wer wann spricht. Der Text bekommt eine andere Dynamik.
Das funktioniert übrigens auch, wenn in einer Szene mehr Figuren als nur zwei sprechen. In unserem Beispiel:
„Du hast lange nicht angerufen“, sagte Paul.
„Ich war im Ausland“, erwiderte Anna. „Ich musste meine Kohle zusammenhalten.“ Sie warf einen Blick in die Runde. Johannes schwieg, das kannte sie von ihm überhaupt nicht.
„Hm“, machte Paul. „Unsere Beziehung scheint dir ja nicht besonders wichtig zu sein.“
„Wie kommst du darauf?“
„Du hast nicht angerufen.“
„Spinnst du jetzt total, oder was? Seit wann bin ich dir in irgendeiner Weise Rechenschaft schuldig?“
Johannes räusperte sich. „Jetzt kommt mal beide wieder runter.“
So lange Anna und Paul allein sprechen, brauchen wir die Inquitformeln nicht, Rede und Gegenrede funktionieren wie in dem ersten Beispiel. Dass Johannes schweigend daneben steht, ist gesetzt. Erst wenn Johannes sich einmischt, müssen wir deutlich kennzeichnen, dass jetzt er etwas sagt.
Übung
Schreib den kleinen Dialog weiter. Anna, Paul und Johannes sollen im Folgenden alle drei zu Wort kommen. Finde Wege, wie sich jederzeit deutlich machen lässt, wer gerade spricht.
Wenn ihr die kleine Übung ausprobiert – oder auch mein letztes Beispiel einfach nur aufmerksam gelesen habt, habt ihr bereits eine zweite Möglichkeit, Inquitformeln zu umgehen, erkannt.
Man kann „sagte er“ durch Handlung ersetzen:
Johannes räusperte sich. „Jetzt kommt mal beide wieder runter.“
Hier braucht es kein „sagte er“ im Anschluss. Oder?
Johannes räusperte sich. „Jetzt kommt mal beide wieder runter“, sagte er.
Eher nicht, oder?
Was aber, wenn er nicht gelassen ist beim Sprechen?
Johannes räusperte sich. „Jetzt kommt mal beide wieder runter“, brüllte er Paul und Anna an.
Das würde eine zusätzliche Information enthalten, sodass eine Inquitformel an dieser Stelle einen Sinn ergibt. (Man könnte jetzt natürlich weiter an dem Ausschnitt arbeiten und sich überlegen, ob das Räuspern vielleicht nicht so gut mit dem Brüllen zusammengeht, was es mit Johannes’ Figurenbau macht, wenn er in dieser Situation übergangslos so ausrastet usw. …)
Kleine Anmerkung am Rande: Wenn ich im reinen Schreibmodus bin, versage ich mir Dutzende „sagte er/sagte sie“ nicht, weil sie mich durch den Text ziehen und weil das Überlegen über gut Alternativen meinen Schreibfluss unterbricht. Aber in der Überarbeitung fliegen die meisten davon dann wieder raus.
Wer mehr darüber erfahren will, was für Tricks ich noch anwende, um im Schreibfluss zu bleiben, sei auf die Ausgaben vom letzten Herbst verwiesen, die entstanden sind, als die Plotten für Chaoten-Community gemeinsam am Nanowrimo teilgenommen hat: Chaoten NanoWriMo“, „In den Spiegel schauen“, „Doppelklammern“, „Keine Angst vor Klischees“ und „Gemeinsam über 60.000 Wörter“.
„Lächeln“ ist kein Synonym für „sagen“
Bei dem Beispiel, in dem Johannes sich räuspert, können wir gut weitermachen.
Schauen wir uns das an:
„Jetzt kommt mal beide wieder runter“, räusperte sich Johannes.
Nee, oder?
Wie wäre es damit?
„Das meinst du jetzt aber nicht ernst“, fuhr sie sich durch die Haare.
Okay, jetzt denkt jede:r von euch, dass das letzte Beispiel aber arg überkonstruiert ist. Leider ist es das nicht, es stammt aus einem Buch, das ich tatsächlich einmal angelesen habe. :( Das Buch habe ich nicht mehr, aber das Beispiel habe ich behalten. Es macht sehr schön deutlich, dass man nicht jedes Verb als Ersatz für „sagen“ verwenden kann.
Und jetzt kommt der Punkt, auf den ich hinauswill: Genaugenommen gilt das nämlich auch für „lächeln“, „lachen“, „schmunzeln“ (hm, ob das stimmt, darüber denke ich oft nach), für „grinsen“ …
„Ich glaube, das sehe ich genauso“, lächelte sie.
Vielleicht stolpert ihr ja in Zukunft über solche Sätze.
By the way: Wer hat aufgepasst? „Machen“ aus dem obigen Beispiel gehört eigentlich auch die diese Kategorie. ;-)
Okay. Damit ist die maximale Länge, die ein Newsletter hier auf Substack haben darf, leider auch schon schon fast wieder erreicht. Beim nächsten Mal geht es dann um das richtige Setzen von Absätzen (wichtig!) und die passende Stelle für Inquitformeln in der wörtlichen Rede.
Ich freue mich auf Rückmeldungen und Nachrichten von euch. Vielleicht sind euch ja auch schonmal schräge Dialog-Fails in Büchern begegnet. Falls ja: Lasst es mich wissen – als Kommentar unter diesem Newsletter oder per Mail an plotten@kathrin-lange.de. Ich bin für meine Seminare immer auf der Suche nach Dingen, an denen man Fehler erklären kann.
Das war es für heute von mir.
Bleibt kreativ und zuversichtlich!
Herzlich
Eure Kathrin
PS: Beim Korrekturlesen dieser Ausgabe ist mir aufgefallen, dass sie einige Gedankenstriche enthält. Ich muss euch hoffentlich nicht erklären, dass jeder Newsletter von „Plotten für Chaoten“ von mir stammt und nicht von einer KI. Dass man es an vielen Gedankenstrichen erkennen könne, ob eine KI den Text geschrieben hat, ist ein weiteres der vielen, viele Märchen, die sich im Netz tummeln.
Haben euch diese Tipps und Tricks geholfen?
Schreibt mir in die Kommentare oder an plotten@kathrin-lange.de, was ihr denkt oder euch wünscht. Auch würde ich mich freuen, wenn ihr „Plotten für Chaoten“ an andere Schreibende weiterempfehlt. Das geht ganz einfach über diesen Button. Eure Freundinnen und Bekannten können diese Ausgabe dann auch lesen – natürlich kostenlos.
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Mein Dank geht an alle, die meine Arbeit an diesem Newsletter auch finanziell wertschätzen. Ihr sorgt damit dafür, dass „Plotten für Chaoten“ auch in Zukunft erscheinen kann.
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Mein erster Schreiblehrer hat mir eine tierische Abneigung gegen die "Biestrede" eingeimpft, so hat er das genannt, und deshalb drehe ich durch bei:
"..:", brummte er.
"...", bellte sie.
"...", trompetete er los.
"...", fauchte sie ihn an
... und so weiter.
Deshalb entweder "sagte" oder Handlung als Zwischenschub. Gefragt und geantwortet werden darf notfalls auch, Einwände können erhoben werden, aber das war es dann auch irgendwie schon für mich. Etwas flüstern und schreien versuche ich schon zu vermeiden, das sollte aus dem Dialog selbst klar werden oder halt anders gelöst werden. So mag ich es.
Sehr hilfreiche Hinweise. Davon befolge ich zum Glück intuitiv schon so einige :)
Danke dafür.